Mittwoch, 4. Februar 2015

Nachtrag - Mumbai u.a.

Nachtrag: Seit einigen Tagen zu Hause. Den Koffer ausgepackt, einen Wäscheberg gebaut. Die neuen (indischen) Dinge auf dem Bett ausgebreitet, mich gewundert. In den mitgebrachten Büchern geblättert, gelesen. Mit meinen Fotos aus Indien gespielt, versucht, die Erinnerung zu verlängern, zu intensivieren. Der Versuch, mein Leben hier mit den Erfahrungen in Indien zusammenzubringen. Ein Gefühl der Unwirklichkeit, der Unwirschheit auch, als ich mit dem Fahrrad durch ein Schneegestöber radelte. Natürlich möchte man, dass sich die indischen Erlebnisse irgendwo manifestieren, dass sich irgendwo ein Zünglein an der Waage verschoben hat, aber diese Dinge sind schwer festzumachen, man muss darauf vertrauen, dass eine unterirdische Veränderung stattfindet, dass es tatsächlich möglich ist, Erfahrungen "in seinem Herzen" mit sich herumzutragen.

Einige Erinnerungen an Mumbai:
Wir ließen uns von dem katzenliebenden Taxifahrer drei Stunden in der Stadt herumfahren. Sein Auto war ziemlich heruntergekommen und seine Klamotten auch, und nach eine Weile begriffen wir, dass er wahrscheinlich im Auto lebt. Es wurde schnell klar, dass er eigentlich auf glühenden Kohlen saß, da sein Neffe am selben Tag heiratete und er bei den Hochzeitsfeierlichkeiten dabei sein wollte (aber gleichzeitig nicht auf das Geld verzichten, das eine Fahrt mit uns für ihn versprach). Also fuhr er uns ein wenig halbherzig herum, wies uns links und rechts auf Sehenswürdigkeiten hin. Als wir nach einem kleinen Ausflug in eine Gartenanlage zurück zum Auto kamen, war unser Chauffeur plötzlich verschwunden, das Auto aber stand da. Nach gut zwanzig Minuten (in denen wir schon alle möglichen Ursachen seines Verschwindens durchgespielt hatten) tauchte er schließlich in aller Seelenruhe mit feuchtem Haar aus einer öffentlichen Toilette auf. Anscheinend hatte er sich für die Hochzeit frisch gemacht, versuchte uns aber weiszumachen, dass auf dem Klo eine laaaange Schlange gewesen war...

Je näher wir dem Ende unserer Rundfahrt kamen, desto weinerlicher wurde er - erzählte davon, dass er einen schlechten Ruf bei den Hotelangestellten habe, die ihm unterstellen, dass er ein Schlitzohr ist und ihm deshalb keine Aufträge geben wollen. Psychologisch war es natürlich extrem unklug von ihm, uns diese Information zu geben, zumal er auch plötzlich für die Sightseeingtour einen höheren Preis nannte als den, über den wir uns am Tag zuvor geeinigt hatten. Wir gaben ihm trotzdem ein königliches Trinkgeld, damit er sich für die Hochzeitsfeier neue Klamotten kaufen konnte. Nun ja, die Fahrt war zwar nicht berauschend, aber wir haben trotzdem etwas von Mumbai gesehen, u.a. das Gandhi-Gedenkhaus, einen Wassertank, der in der Mythologie von einer Quelle stammt, die Rama (im Ramajana) mit seinem Pfeil geöffnet hat. Wir sahen auch das teuerste Wohnhaus der Welt, das der Chef von dem Reliance India (Mobilnetz-Betreiber) für sich und seine Familie hat bauen lassen, ein Wolkenkratzer für eine vierköpfige Familie und ihre 300 (600)? Bediensteten. Später las ich zu Hause nach, dass die Familie angeblich nie in das Haus eingezogen ist - wegen der ungünstigen Feng Shui-Werte ("Vasthu" in Indien). Außerdem machten wir an einer Wäscherei halt, die offensichtlich auch in die Touristenattraktionen eingeht, da bereits Horden von Touristen die riesige Anlage fotografierten, in der Männer und Frauen unter freiem Himmel in unzähligen Betonbottichen Wäsche wuschen. An ebenso unzähligen Wäscheleinen hingen Jeans an Jeans und Bettlaken an Bettlaken, und wir waren sicher nicht die einzigen, die sich fragten, wie die Organisation dieser enormen Wäschemenge vor sich ging.

Am Nachmittag holte ich dann beim Optiker die Brillen ab, die ich bestellt hatte und muss inzwischen konstatieren, dass sich wieder einmal bewahrheitet hat, dass "billig gekauft teuer gekauft" ist. Das gilt vor allem für die Sonnenbrille. Der Optiker hat nämlich eine krachig blaue Farbe für die Gläser gewählt, die mich total schockierte. Nachdem ich jetzt herumgegoogelt habe, habe ich außerdem erfahren, dass Blau als Sonnenbrillenfarbe umstritten ist. Vor allem rät man davon ab, blaue Gläser beim Autofahren zu verwenden (und dafür hatte ich die Brille ja in erster Linie gedacht), weil sie Farben verfälschen können. Außerdem ist das Gestell für eine Sonnenbrille auch etwas zu klein. Daran habe ich nicht gedacht, und dem Optiker war es offensichtlich egal. Es kommt also ziemlich viel Streulicht von oben und von den Seiten hinein. Naja, es wird sich zeigen, ob das Ding jemals zur Anwendung kommt. Mit der anderen Brille bin ich einigermaßen zufrieden. Ich habe allerdings im Allgemeinen eine Tendenz, bei neu gekauften Dingen Haare in der Suppe zu finden und gerate dann in eine überdimensionale Aufregung, die sich in der Regeln nach ein paar Tagen legt. Eigentlich sollte ich so wenig wie möglich kaufen, wenn ich mir meinen Seelenfrieden bewahren will...

Wir liefen noch eine Weile durch die Gegend um den Brillenladen, auf der Suche nach einer bestimmten Medizin, die wir einer indischen Freundin in Schweden versprochen hatten. Da wir überall die gleiche Antwort bekamen ("not available"), kamen wir dabei ziemlich weit herum und landeten sogar im "Mumbai Hospital" und der dort befindlichen Apotheke. Wir gingen durch Straßen, in denen ein Geschäft neben dem anderen ätherische Öle verkaufte. Dann wieder kamen kamen wir an einer Reihe von Läden vorbei, in denen medizinische Hilfsmittel verkauft wurden, bogen um die Ecke, um uns im Lederviertel wiederzufinden, wir fragten uns von einer Apotheke "Medical" zur nächsten, gaben aber schließlich auf und ließen uns von einem Taxi nach Hause bringen.

Am Abend machten wir ein kleines Ritual vor unserem Hotel, das ich dem Film "Darjeeling Limited" abgeguckt habe. Da wir keine Pfauenfedern hatten, nahmen wir ein paar vertrocknete Blätter, die ich hinter dem Haus vom Boden aufgeklaubt und unter einem Wasserhahn gewaschen hatte. Als Stein nahm ich ein Stück Bruchstein vom Gehsteig. Das Ritual sollte etwas chaotisch sein, das war ein Teil der Choreographie. Wir machten selbst erfundene Bewegungen und bliesen dann viermal auf unser Blatt, einmal in jede Himmelsrichtung. Dann legten wir die Blätter unter den Stein und berührten unsere Augen und unseren Scheitel, wie bei einer Puja.


Ende der Reise.

Mann und Katze in Mumbai

Donnerstag, 29. Januar 2015

Letzter Abend in Mumbai

Ich sitze auf dem Hotelbett, P hat den Fernseher eingeschaltet (das zweite Mal, dass wir in diesem Monat den Fernseher im Hotelzimmer einschalten).
Wir haben soeben gepackt und uns eine Tasse weissen Tee gekocht. Ich genese noch von der Erkältung, die mich gestern gequält hat. 
Es geht eigentlich nicht zu begreifen, wie viel verschiedene Welten wir in den letzten Wochen durchquert, berührt haben, von wie vielen Welten wir berührt worden sind. Es war eigentlich nicht nur EINE Reise, sondern viele. 
Jetzt sind wir in Mumbai, einer Stadt, die mit dem Dorf Thanirpalli so viel zu tun hat wie London mit einem Dorf in Rumänien vielleicht. Eine indische Stadt, die Rikschas abgeschafft hat, (stattdessen fahren hier kleine gelb-schwarze Taxis), weshalb die Luft erstaunlich gut ist. 
Eine Stadt ausserdem, die es geschafft hat, dass alle Taxifahrer den Taxometer einschalten, so dass es keine langen Verhandlungen vor und nach der Fahrt gibt, wieviel man bezahlen soll (Man bezahlt einfach das, was auf dem Taxometer steht! Unglaublich!).
Das erklärt andererseits vielleicht aber auch, warum uns in Mumbai inzwischen schon mehrere Taxifahrer begegnet sind, die wirklich kein Wort Englisch zu verstehen scheinen - während man sich mit dem Rikschafahrer im Dorf Thanirpalli zumindest leidlich über Ziele und Fahrtstrecke verständigen konnte. 
Es ist angenehm, in einer Stadt zu sein, in der die Temperaturen erträglich sind (man kann ohne Ventilator schlafen), etwa wie Rom zur Sommerzeit, während in Kochi tropisches Klima herrschte und es auch nachts nicht abkühlte. 
Gestern morgen war ich noch bei der Raga-Meditation in Kochi, liess mir später beim Nasen-Ayurveda Öl in die Nase tröpfeln und sass mit verbundenen Augen vor dem Schlauch, aus dem der Ayurveda-Masseur Dampf gegen meine Nase und Stirn strahlte. Und heute lief ich um den Gateway to India herum und flanierte den Marine Drive entlang, die schönste Strandpromenade, die ich je gesehen habe und auch auf dem Stück Sandstrand so erstaunlich sauber wie nicht einmal ein Strand in Schweden.
Hüfttücher sieht man nur selten, die Jugendlichen sehen modern und selbstbewusst aus, man sieht Liebespaare, die sich in der Öffentlichkeit berühren (!), und die Modefrisur bei den jungen Männern ist ein luftiger Hochbau.
Heute konnte ich zwei Dinge erledigen, die ich eigentlich schon abgeschrieben hatte. Ich fuhr zu einem Optiker, der damit warb, dass er innerhalb von vier Stunden Brillen fertigen kann und den die Rezeptionisten in unserem Hotel empfehlen konnten. Ich bin ja vor der Reise auf meine Brille draufgetreten und habe jetzt nur eine alte Brille, die ausserdem etwas zu stark ist. 
(Zwischenbemerkung: Die fernsehende P informiert mich gerade darüber, dass es im Indischen den Frauennamen "Palak" gibt. "Stell dir vor, du würdest Spinat heissen!", sinniert sie weiter. - Lachanfall.)
Inzwischen habe ich also eine neue Brille bestellt und ausserdem noch eine Sonnenbrille dazu. Obwohl ich wirklich gute (nicht-indische) Gestelle wählte, bezahle ich jetzt viel weniger, als wenn ich in Schweden in einem der Billigläden nur eine Brille kaufen würde. Allerdings kriege ich die Gläser hier innerhalb von einem Tag leider nicht entspiegelt.)
So, jetzt ist es Zeit zum Schlafen. Morgen vormittag wollen wir mit einem Taxi eine Stadtrundfahrt machen. Ich habe sie heute bereits bestellt, bei dem Taxifahrer, der immer vor unserem Hotel steht und die kleine Katze, die hier ihr Zuhause hat, seine "Freundin" nennt (allerdings gibt er ihr zum Fressen nur Kekse, eine seltsame Missachtung der Katzenbedürfnisse). 
Ach ja, das Zweite, was ich erledigen konnte: Ich fand schliesslich doch noch zwei Nasenspülkannen. Fünf Wochen lang habe ich vergeblich danach gefragt, und heute ging ich eher aus Pflichtgefühl in ein Yoga-Zentrum, das aussah, wie eine altmodische Behörde. Dort zauberte in der Rezeption die Frau, die hinter der Schreibmaschine sass, weisse Porzellankannen aus einer Schublade hervor, und ich kaufte gleich zwei davon, auch wenn ich später sehen musste, dass eine davon schon einen Sprung hat. 
Morgen nachmittag kann ich die Brille abholen, dann will ich noch in das Museum für moderne Kunst gehen, das direkt gegenüber vom Hotel liegt, und am Abend geht es dann zum Flugplatz. 
Wenn ich zu Hause bin, melde ich mich wieder...

Das Haus des reichen Mannes, Mumbai

Dienstag, 27. Januar 2015

Grüngesicht gegen Rotgesicht u.a.

Ich sitze auf dem Bett in unserem Hotel Spencer Home in Fort Kochi, es ist acht Uhr abends, der Ventilator läuft auf vollen Touren und versuche, die vergangenen zwei (drei?) Tage zu rekonstruieren, während P gerade ein Häufchen (einen Haufen?) Sachen zusammenstellt, die sie morgen per Post nach Hause schicken möchte, bevor wir den Flug nach Mumbai nehmen.

Die Hitze in Alapuzzha, der Junge mit den Popcorns am Strand, der uns Lieder vorsang und (auf meine Frage, wie alt er sei) auf Englisch bis 63 zählte.

Das Frühstück im Hof des Guesthouse, der Rabe, der herangeflogen kam und mit einer Toastscheibe im Schnabel davonsegelte.

Die zwei schweigenden Männer mit Motorrad, die P und mich zur Ayurveda-Massage abholten, der papierne Lendenschurz, mit dem ich auf die Massagebank stieg, die Masseurin, die mich fragte, ob ich Lehrerin sei, was ich der Einfachheit mit ”ja” beantwortete. (Darauf die schockierende Reaktion: ”Look like teacher!”)

Der Rikshafahrer, der uns am Strand aufgabelte und uns dann den Rest des Tages die Treue hielt. Wir fuhren zu viert mit einer Riksha, was bedeutete, dass drei auf der Rückbank saßen und ich neben dem Fahrer auf der schmalen Fahrerbank sass und mich krampfhaft am Gestänge der Riksha festhielt, um nicht herauszufallen. Dabei erzählte er mir eine Menge: über den Streik, der heute Kerala lahmgelegt hat (er schilderte ihn allerdings in viel drastischeren Worten, denn wir glaubten zuerst, dass wir nirgendwo etwas zu essen finden würden), und dann auch über Ausländer, die in Alapuzzha Restaurants und Gästehäuser besitzen und diese dann von einer indischen Belegschaft betreiben lassen und nur ein- oder zweimal im Jahr kommen, um nachzusehen, dass auch alles seine Ordnung hat. Jedenfalls habe ich das so verstanden.

Alapuzzha ist berühmt für seine Schirme, also fuhren wir zu ”Popy”, dem berühmten Schirmladen (vermutlich noch aus britischen Zeiten), wo uns am Vormittag, kurz nach der Öffnung, von der Verkaufstheke aus ungefähr fünfzehn erwartungsvolle Verkäufer entgegenblickten. Stolz führte man uns die Sondermodelle vor: einen Doppeldeckerschirm, einen gigantischen rosa Schirm in Herzform, Schirme aus Spitze, Schirme aus Seide, Kinderschirme mit Elefanten und tropischen Vögeln und was weiss ich nicht alles. Ich entschied mich für einen Schirm mit UV-Schutz, der mir heute schon gute Dienste geleistet hat und für einen ”Seiden”-Schirm, der oben lila schimmert und unten rosa. Meine Farben!

Unser Rikshafahrer fuhr uns zum Abendessen in ein Strandlokal mit dem Namen ”Dreamer’s Restaurant”, und da sassen wir in einer Nachkonstruktion eines Kerala-Hausboots im offenen Obergeschoss, liessen uns ein wenig Meeresbrise um die Nase wehen, und ich ass ein hervorragendes Fischcurry und Naan mit Knoblauch und Käse, eines der besten Gerichte in den gesamten vier Wochen, die wir bisher hier gewesen sind.

Auf Kochi war ich nicht richtig vorbereitet. Kochi ist eines dieser Traveller-Mekkas, die man immer mal wieder in solchen Ländern findet, die sonst eher anstrengend sind und einem viel Anpassungsvermögen und Geduld abverlangen. Kochi ist nämlich eine Stadt, in der man trotz der tropischen Wärme plötzlich ein wenig aufatmet, wo man sich in ein luftiges Teehaus setzt und Orangenkuchen isst, wo man Informationen über Kunstausstellungen findet oder sich in einem von allen Reisebüchern empfohlenen Restaurant von einem gut gelaunten weissbärtigen Inder bedienen lässt, der fliessend Englisch spricht und auf die Bestellung mit einem sehr amerikanischen ”Sure!” antwortet. Auch die Buchhändlerin, bei der ich sofort vier Bücher von Pankaj Mishra finde (von dem sie sagt, er sei ein ”popular guy”), spricht hervorragend Englisch und bietet an, nicht nur die neu gekauften Bücher, sondern auch die restlichen Reisebücher, die man so mit sich herumschleppt (kein ebook-Reader mehr!), zu einem nach Hause zu schicken. Um die Bücher zu wiegen, stellt sie zuerst sich auf die Waage und notiert das Gewicht, und dann stellt sie sich mit dem Bücherkarton auf die Waage, und das, während hinter uns die Schlange der Kunden immer länger wird.

Trotz landesweitem Streik (wegen eines korrupten Regierungsbeamten) hatten einige Lokale und Cafés geöffnet, und das Postamt konnte man von der Rückseite des Gebäudes, sozusagen vom Personaleingang aus, betreten, was uns ein Polizist mitteilte, der vor dem Haupteingang auf einer Bank sass.

Ich war heute schon früh auf (um halbsechs) und ging erst zum Strand, wo ich erstaunt darüber war, wie viele Inder schon unterwegs waren, um Morgengymnastik zu machen oder mit raschem Schritt und schwingenden Armen die Strandpromenade entlang zu gehen. Jemand saß auf einer Mauer und machte Yoga-Atemübungen. Ein Muslim mit weißem Käppchen lief eine kleine Treppe hinauf und wieder hinunter und unterhielt sich dabei mit einem Bekannten. Ein junges Paar, das in einem lautstarken Streit begriffen war, begegnete mir zweimal. Ich sah am Strand Kochis "Mad Crab" ("Verrückte Krabbe"), eine Installation, die auf den Plastikmüll aufmerksam machen soll und die Strandbesucher dazu auffordert, Plastikmüll zu sammeln und damit die "Mad Crab" zu füttern. Wenn man näher geht, sieht man, dass der Körper der Mad Crab aus mit Plastikflaschen gefülltem Netz besteht.


"Mad Crab" - die verrückte Krabbe in Kochi

Nach einem einfachen Früstück in dem Haus, in dem Vasco da Gama einige Lebensjahre verbracht hat, ging ich zu einer Ragameditation, eine Stunde Meditation zu Sithar- und Tablamusik und anschliessendes Gespräch mit den Musikern, von denen der eine, der mich andauernd lächelnd anschaute, plötzlich auf seinem Smartphone zu googeln begann und mir vor allen anderen Teilnehmern mitteilte, dass ich einem indischen Musiker total ähnlich sehe. Er ließ das Bild nun in der ganzen Gruppe herumgehen. Was die anderen denn dachten? Naja. Die Reaktionen waren zurückhaltend. Der Mann war nämlich nicht gerade eine Schönheit. 

Nachmittags war es dann Zeit dafür, etwas über Kalaripayattu, die spezielle Kampfkunst von Kerala zu lernen – all diese Veranstaltungen fanden im Kathakali Art Institute statt, dessen Betreiber ein Inder ist, der das halbe Jahr in Berlin lebt (”Leinestrasse”, sagte er zu mir) und das andere halbe Jahr in Kochi.

Abends gingen wir uns dann eine Kathakali-Vorführung ansehen, mit einer sehr didaktischen Einführung in die verschiedenen Handmudras, Augenbewegungen und eine Darstellung von typischen Bewegungen, da Kathakali fast so etwas ist wie eine Gehörlosensprache, die für Begriffe und sogar ganze Sätze festgelegte Bewegungen hat, nur dass hier der ganze Körper ”spricht”. (Nur der Bösewicht, der ein feuerrotes Gesicht und einen Rüssel wie ein Schwein hatte, stiess grunzende und grollende Laute aus und fiel natürlich der Klugheit und Hinterlist grüngesichtigen Helden zum Opfer).

Unser Guesthouse ist übrigens ein altes portugiesisches Wohnhaus mit einem lauschigen und kühlen Innenhof, und alle Zimmer gehen hinaus auf eine schattige Veranda. Nur leider kommen am Abend die Mücken (trotz Mückenspiralen, die ein ständig verwundert lächelnder alter Mann vor allen Zimmer aufstellt, sobald die Dämmerung hereinbricht), so dass man lieber im Zimmer bleibt, sonst könnte man nämlich schön draussen sitzen. Zum Personal gehören außerdem ein sehr melancholischer Tablaspieler, der morgens und abends neben dem Eingang trommelt und ansonsten für das Öffnen der Tür zuständig ist und natürlich der Manager, ein älterer Mann mit hennarot gefärbtem Haar und langen Koteletten, der einen immer gütig anlächelt, wenn man ihm über den Weg läuft.

Morgen früh werde ich wieder zur Morgenraga gehen. Danach habe ich eine ayurvedische Nasenbehandlung bestellt (die hoffentlich dieser ständig lauernden Erkältung endlich den Garaus macht), und dann ist es Zeit, uns zum Flughafen zu begeben und nach Mumbai zu fliegen. Ein seltsames Gefühl. Ich habe aber schon lange mal Mumbai sehen (und spüren) wollen, und wir haben dort zwei Nächte, um die Stadt ein wenig auf uns wirken zu lassen.

Samstag, 24. Januar 2015

Ein Tag auf dem Boot

Heute haben wir eine acht-, nein fast neunstündige Bootsfahrt gemacht. Ausser Schauen tut man da nicht viel. Wir sassen auf dem Dach unter einem Sonnenschutz, alle Passagiere rückten dem Schatten hinterher, was dazu führte, dass das Boot sich manchmal zur einen, und dann wieder zur anderen Seite neigte. Wir waren angenehm davon überrascht, dass das Boot nicht grösser und nicht mehr bevölkert war. Ausser uns waren vielleicht noch fünfzehn Passagiere an Bord, davon einige Inder und zwei Männer, die chinesisch aussahen und bei der Essenspause auch Stäbchen aus ihrem Rucksack geholt, aber nie gesprochen haben, so dass ich nicht ganz sicher bin, woher sie kamen.

Ein grauhaariger Mann mit kurzem Haarschnitt, ärmellosem T-Shirt und Shorts las die Millenium-Trilogie von Stig Larsson auf Englisch und sah irgendwie sehr melancholisch und einsam aus, etwas, das ich bei alleinreisenden Männern oft feststelle - wenn sie sich nicht hinter einer riesigen Kamera verstecken wie der Tourist aus Australien, der seine Canon nur selten von seinem (bierernsten) Gesicht wegnahm und ständig mit seinem Teleobjektiv die Menschen heranzoomte, die auf dem Wasser und zu Land ihrer täglichen Arbeit nachgingen.

Wir winkten unaufhörlich nach links und nach rechts, denn ich habe kürzlich in einem Buch gelesen, dass man die Menschen in zwei Gruppen einteilen kann: solche, die von einem Boot zurückwinken, wenn ihnen ein Kind zuwinkt und solche, die es nicht tun, und ich wollte ganz bestimmt nicht zu der zweiten Gruppe gehören. Wir winkten nicht nur Kindern zu - Schulkindern und vorlauten Halbwüchsigen, die in Bäumen saßen, sondern auch Arbeitern, Fischern, Müttern und Vätern mit ihren Kleinkindern, Wächtern in olivfarbener Uniform, Frauen, die am Fluss Wäsche wuschen.

Bei einer kleinen Hütte am Rand eines Dorfs machten wir Halt und assen zu Mittag, ein Kerala-Thali auf Bananenblatt, mit dem typischen Rundreis der Gegend, mit Zitronenchutney und verschiedenen Gemüsecurrys. Ausserdem bekamen wir ein paar Stückchen gebratenen Fisch, stellten aber beim Bezahlen fest, dass man für jedes Stückchen Fisch extra bezahlen musste. Ein wenig Bauernnepp. Eine amerikanische Mitreisende, die nicht mit uns ass, sondern an einem Baum gelehnt vor dem Bootsanleger sass und irgendetwas Mitgebrachtes verzehrte, erzählte dem Bootsführer nach dem Essen triumphierend, sie habe die Geschichte schon gehört, von den kleinen Fischstückchen, die man teuer bezahlen müsse, haha, und er verteidigte den Preis, indem er aufzählte, was so ein frittierter Fisch alles enthält an Gewürzen und Fett und Arbeit.

Die schlaue amerikanische Touristin stieg dann gemeinsam mit einem Franzosen bei Ammas Ashram aus, das wie zwei rosarote Wolkenkratzer in den Himmel ragt und in der ländlichen Gegend etwas deplatziert wirkt, so wie auch die zuckerig rosarote Brücke, über die man den Ashram erreichen kann. Auf einer Dachterrasse sahen wir an einer Wäscheleine weisse Kleider im Wind flattern, das Kennzeichen der Amma-Anhänger.

Ich sitze jetzt im Hotelzimmer, der Ventilator dreht sich an der Decke. Die Bettlaken sind rosa geblümt und etwas zum Zudecken gibt es nicht, man wird es auch nicht brauchen. Die Fenster sind weit geöffnet, aber mit Mückennetz versehen. Ich habe mir den Tagesschweiss mit einer Bucket Shower abgewaschen und das kalte Mineralwasser, das ich mir vor etwa einer Stunde von einem der jungen Männer habe geben lassen, die hier arbeiten, ist schon wieder warm.

Wir haben in einem einfachen Lokal in der Nähe etwas zu Abend gegessen, sind etwas geschockt davon, dass wir nach einem ganzen Tag in der Idylle (und vier Tagen in der Abgeschiedenheit am Meer) wieder in einer indischen Stadt gelandet sind. Mir fehlt Tamil Nadu ein wenig. Hier in Kerala ist alles ein wenig "normaler"; alles ist ein wenig touristischer, ein bisschen weniger verrückt.

Alapuzzha ist die Stadt der Schirmherstellung - für morgen ist also der Besuch in einem Schirmladen angesagt.


Freitag, 23. Januar 2015

Amma und Mr Shashi und die Touristenseele

Rückblick: Die kochenden Menschenmassen bei “Amma” (Mutter), deren Markenzeichen darin besteht, dass sie ihre Besucher umarmt ("The Hugging Saint"). Unsere kurz entschlossene Fahrt dorthin mit der Riksha. Der erste Eindruck: das riesige Dach, unter dem die Veranstaltung stattfindet, Schuhe am Eingang abgestellt, improvisierte wackelige Treppenstufen, ein Tisch mit einem Schild, auf dem zu lesen ist ”Can I help you!”. Wir irren herum, zwischen Hunderten von aufgestellten Plastikstühlen, versuchen, ein System zu begreifen, fragen Nicht-Inder (die keine Ahnung haben) und Inder (deren Englisch nicht ausreicht, um zu verstehen, was wir wollen). Wir sind ja gekommen, um uns umarmen zu lassen, haben aber nichts vorbereitet, nur Gerüchte gehört in der Stadt, haben auch nicht viel Zeit, genauer gesagt nur zweieinhalb Stunden. Schliesslich kommen wir zu einem Stand, an dem man ein selbst gebasteltes ”Umwelt-Spiel” spielen kann (zu dessen Regeln z.B. gehört, dass man ”three hard garbage items” finden und in den richtigen Abfallbehälter werfen muss). Es liegen Informationsmappen aus: zur Mülltrennung, zum verheerenden Einfluss von Plastik auf die Umwelt, zu Umwelt-Aktionen von Amma-Anhängern, bei denen z.B. Flussbetten von Plastik gereinigt wurden.

Ein Amma-Fan (er ist Amerikaner) sagt, er wird versuchen, zwei ”Darshan-tokens” für uns zu bekommen. ”Darshan” bedeutet so etwas wie ”das Göttliche sehen". (Im Tempel tritt man in direkten Kontakt mit dem Göttlichen, indem man sich in den allerheiligsten Innenraum begibt, in dem der Gott einem in Form einer Skulptur begegnet, und hier tritt man durch die Verkörperung von Amma in Kontakt mit dem Göttlichen). "Ich bin vor einigen Jahren zum ersten Mal von ihr umarmt worden", sagt er. "Seitdem versuche ich, so oft wie möglich zu ihr zu kommen."

Ich mache es jetzt kurz: Wir bekamen wie durch Wunder unsere tokens, wurden wie durch Wunder durch die kochende Menschenmenge nach vorne gedrückt (Männer und Frauen standen in verschiedenen Schlangen) – und wie durch Wunder gelangten wir in einem ausgeklügelten Ordnungs-System auf die Bühne und zum “Darshan”, d.h. zur Umarmung durch Amma. Diese Umarmung ist eine recht sachliche Angelegenheit. – Auf dem Weg wird man erstmal ein wenig hergerichtet – eine Helferin wischt einem die verschwitzte Stirn ab, eine andere rückt einem den Schal zurecht, so dass er ordentlich um die Schultern liegt, dann wird man nach der Nationalität gefragt, die an Amma weitergeleitet wird, zwei Helfer drücken einen dann an die Brust der weissgekleideten Frau, die einem ein paar vibrierende, unverständliche Worte ins Ohr raunt, und schon ist Schluss, und man wird weitergeschleust. Beinahe hätte ich das Geschenk von Amma vergessen, das man mir noch hinterher trug – zwei kleine Kuverts mit heiligem Farbpuder, den man auf die Stirn auftragen kann und ein Bonbon. Ausserdem schob man mich in Richtung Bühne, wo weissgekleidete Amma-Anhänger sassen und Mantras rezitierten. ”On the stage, on the stage!” riefen die Helfer. ”Why?” fragte ich. “Amma said.”

Ich setzte mich also im Schneidersitz auf die Bühne, man holte meine Tasche, die ich vorher abgegeben hatte, und meine Begleiterin, die inzwischen schon weiter gegangen war, und wir verbrachten etwa eine halbe Stunde nur wenige Meter von Amma entfernt, konnten beobachten, wie sie am laufenden Band Menschen umarmte, die nur aus diesem Grund hierher gekommen waren (währenddessen wurden ihr Hals und Nacken von einer Helferin massiert). Später las ich irgendwo, dass die Worte, die sie mir ins Ohr raunten, übersetzt vielleicht “meine Tochter, meine Tochter, meine Tochter” bedeuteten, aber sicher weiss ich es natürlich nicht.

Das Wunder bestand nicht nur darin, dass wir das, was am Anfang als völlige Unmöglichkeit erschien, erreicht hatten. Wir hatten auch so viel Zeit übrig, dass wir trotz unseres Intermezzos auf der Bühne noch eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit zurück im Hotel waren, wo wir auf der Dachterrasse den letzten gemeinsamen Abend mit der Gruppe begingen. P und ich bekamen Blumenkränze um den Hals gehängt, und der Kellner, der uns schon mehrere Abende bedient und uns mit einer Imitation des Verhaltens der verschiedenen europäischen Nationalitäten unterhalten hatte, brachte mir als "Group Leader" einen Banana Pancake with Icecream aufs Haus (am Abend danach, als wir nur noch zu viert waren, lud er mich zu einem komplett Menü ein - ).

Das Schöne in Indien passiert immer dann, wenn hinter den Rollen die Menschen sichtbar werden – wie zum Beispiel der Kellner am Frühstücksbüffet, der eines Morgens ein Lied in Tamil für mich sang, weil ich gefragt hatte, was für eine Musik das im Lautsprecher sei (eine Instrumentalversion eines traditionellen Liebeslieds, in dem der Junge das Mädchen auffordert, mit ihm in den Himmel zu fliegen, und das der Kellner in voller Länge und mit großer Hingabe sang…).

Inzwischen sind wir in Kerala und ich sitze auf der Veranda unseres Strand-“Schuppens” (man darf hier direkt am Wasser keine Häuser bauen), in dem wir jetzt schon drei Nächte verbracht haben, zum Getöse der Wellen, die nur wenige Meter vor unserer Tür an den grossen scharfkantigen Steinen brechen. In der Nacht klingt es, als würde das Meer jeden Augenblick über unser Blechdach schlagen, aber man gewöhnt sich daran, und es ist einfach herrlich, am Morgen aufzuwachen, auf die Veranda hinaus zu treten und aufs Meer zu schauen. Am Morgen, vor dem Frühstück, ist das Wasser noch einigermassen erfrischend, und es gibt eine kleine Stelle, wo man über die Steine ins Wasser gelangt, mit ein paar Quadratmetern Sand bei den ersten Schritten.

Der Ausblick


Unser Wirt, Mr Shashi, ein älterer weisshaariger Herr, dessen Standardkleidungsstück ein weisses Hüfttuch ist, das er manchmal mit, aber öfter ohne Hemd trägt, der eine wunderbare Ruhe und Freundlichkeit ausstrahlt und uns mit Essen verwöhnt – er hat ein Seafood-Restaurant in der Stadt und wir bekommen Shrimps, Krabben, Tintenfisch und anderen Fisch in allen möglichen Varianten serviert – und sein sehniger Assistent Jinda, der mit einem ausgewaschenen orangefarbenen Hüfttuch herumläuft (er ist der erste Inder, den ich sehe, der beinahe immer im Laufschritt unterwegs ist - obwohl er leicht hinkt) und den ich gern mit mir nach Hause nehmen würde, weil er so nett ist und so ein schönes Gesicht hat mit grossen Augen und einer knolligen Nase, geben uns das Gefühl, hier willkommene Gäste zu sein. Das Schöne an Indien ist, dass vieles so improvisiert scheint – die Küche hier z.B. ist ein winziger unaufgeräumter Schuppen mit einer Art Campingkocher – und trotzdem alles funktioniert. Das Weiche, Leise, diese unaufgeregte und unaufdringliche und immer freundliche Art – das ist etwas, was ich von hier mit nach Hause nehmen möchte, als Vorbild, auch wenn es für mich schwer zu erreichen ist...

Gestern haben wir – zwei von uns, da die zwei anderen etwas angekränkelt waren - eine Kanutour im Backwater einer Insel gemacht, die nach einem Briten “Monroe-Island” benannt wurde und heute immer noch so genannt wird. Unser einfühlsamer Bootsführer Vijesh erklärte uns Heilpflanzen, zeigte, wie man Kokosseil dreht, machte uns auf Eisvögel und Milane aufmerksam, die in den Kokospalmen sassen und auf Kormorane, die ihre Flügel trockneten, zeigte uns Fischfarmen und liess mich das Boot steuern (stehend, mit einem langen Bambusstock stakend), er servierte uns frische geschlagene grüne Kokosnuss und gab uns – auch das ist so besonders an Indien, an diesen direkten Begegnungen mit den Menschen – nie das Gefühl, dass er diese Tour schon hundertmal gemacht hat und eigentlich von Touristen mit ihren immergleichen Fragen und Reaktionen, ihrem “Ah!” und “Oh!” die Nase schon voll hat.

Ausflug auf dem Backwater
Eine Frau aus unserer Tanzgruppe sagte bei unserer Abschlussrunde in Madurai vor ein paar Tagen, dass man bei den (Süd)-Indern das Gefühl hat, dass man ihnen auf einer anderen Ebene begegnet, nicht in erster Linie auf einer äusserlichen (auch wenn es natürlich auch oft um Geschäfte geht, ums Geldverdienen), sondern auf einer inneren, irgendwie von Seele zu Seele. Das klingt zwar abgefahren, aber ich laufe in Indien tatsächlich mit einem beinahe unaufhörlichen Gefühl des Verliebtseins herum.

Wir werden jetzt noch einen Tag und eine Nacht hierbleiben und dann mit der Fähre weiterfahren nach Alapuzzha (eine achtstündige Fahrt). “Unser” herrlicher clownesker Rikshafahrer Hussein brachte uns gestern Nachdmittag zu einem riesigen Elefantenfestival, mit wilden schweissüberströmten Trommlern und unzähligen geschmückten Elefanten, auf denen schmale junge Männer mit orangen Hüfttücher schaukelten und ebenso unzähligen weisshäutigen Touristen mit riesigen Spiegelreflexkameras am Strassenrand, die vom nahegelegenen Badestrand von Varkala gekommen waren, was das Erlebnis für uns absurderweise etwas schmälerte. Dass diese gewaltigen Tiere hier so eine große Rolle in der Kultur spielen, dass man sie zähmt und gefangen hält und dann mit schwerem goldenem Schmuck behängt und mit Fußfesseln durch die Städte prozessieren lässt, ist etwas, das ich jetzt ganz einfach so hinzunehmen versuche...

Elefantenfestival in Kollam

Mittwoch, 21. Januar 2015

Kurzer Update im Mückenschwarm

Eigentlich war hier ein Update meines Blogs geplant, aber wie es immer so ist in Indien - Planungen sind nur begrenzt möglich.
Im Wifi-Raum unseres "Summerhouse" Hostels ausserhalb von Kollam / Alapuzzha ist nämlich gerade die Mückenstunde angebrochen, ich werde attackiert von hungrigen Mücken und habe weder Mückenspray noch Mückenstick bei mir.
Über einen nahe gelegenen Lautsprecher tönt der unaufhörliche Singsang der Tempelpriester, die das Dorf gerade sieben Tage beschallen, aufgrund eines Tempelfestivals, dessen Ursache wir noch nicht ganz begriffen haben.
Winzige Ameisen bevölkern die Tastatur, und hinter mir muhen die Kühe. Ein Paar ganzkörpertätowierter französischer Touristen ist gerade neu angekommen - die Frau in sichtlich schlechter Laune, was ich angesichts des Tempelsingsangs gut verstehen kann.
Wir wohnen in einem Hüttchen, das sich direkt am Strand befindet, und den heutigen Tag haben wir nur gefaulenzt. Gelesen, gegessen, ein wenig gewaschen und in dem lauwarmen Wasser des Meers gebadet. Für heute Abend hat unser Wirt, der wunderbare Mr Shashi, der im Ort ein Sea Food Restaurant hat, uns Krebse angekündigt. Gestern haben wir Tintenfisch und Krabben bekommen.
Ich fliehe also jetzt wieder vor dem Mückenschwarm. Wir bleiben hier ein paar Tage und haben für morgen eine Kanutour im Backwater von Kerala geplant.

Samstag, 17. Januar 2015

Eindrücke aus Kodaikanal

Die Kellner im Hotel Kodai Resort mit ihren Haarnetzen, weissen Baumwollhandschuhen und auch im Inneren des Hauses getragenen Windjacken. Dem einen von ihnen begegnete ich ständig, auch auf meinen Wegen durch den Ort, und jedes Mal winkte er mir begeistert und ein bisschen exaltiert zu und rief mit seiner hohen Stimme ”hi-i!!”

Die Haarmode bei jungen Männern in Kodaikanal: eine vor der Stirn nach oben geföhnte Welle.

Der beleibte Parkplatzwächter in seiner stramm sitzenden olivgrünen Uniform am Biriyani-Restaurant auf dem Weg von Shantivanam nach Kodaikanal, der den Autos am Strassenrand willkürlich Plätze zuwies und nach einem undurchschaubaren Muster auf seiner Trillerpfeife blies, sobald er unser ansichtig wurde.(Die Kellner dort mit den weissen papiernen Duschhäubchen und Einweghandschuhen aus Plastik.) Als wir wegfahren wollten, klopfte der (selbst ernannte?) Parkplatzwächter an mein Fenster und bedeutete mir mit der zum Mund geführten Hand, dass ich ihm für seine gewissenhaft ausgeführte Arbeit etwas schuldig sei, und ich schob gehorsam das Fenster zurück und reichte ihm einen 20-Rupiesschein, den er mit Grabesernst entgegen nahm.

Die auf den Blechdächern von Kodaikanal zum Trocknen ausgelegten Bettdecken, Teppiche. Die auf Grünflächen zum Trocknen ausgelegten Saris, Handtücher. Die auf der Strasse auf einem ausgebreiteten Tuch zum Trocknen ausgelegten Socken und Unterhosen.

Am Abend klingelt es an der Hoteltür. Ich liege schon im Bett und gehe im Schlafanzug nachsehen, was los ist. Ein Hotelangestellter steht mit Wollmütze vor der Tür, hält etwas in weisse Tücher Gewickeltes vor sich, ich denke erst: Ach, die Wäsche der Nachbarn landet jetzt verspätet und fälschlicherweise bei uns! Aber dann sehe ich die roten Gummimanschetten, die aus den Handtüchern hervorlugen und verstehe, dass er uns Wärmflaschen bringt.

"Wir haben aber nichts bestellt."
"Complimentary, mäm."
"Kostet es etwas?"
"Nein, nein, mäm."
Ich nehm ihm seine Last ab.
Sign here, mäm." (Er hält mir eine Zimmerliste hin; ich soll meine Unterschrift drauf setzen.)
Ich werde wieder verunsichert: "How much?"
"No, no, Mäm."
Ich unterschreibe, bedanke mich, gehe mit den Wärmflaschen ins andere Zimmer, werfe sie aufs Bett, und die nächsten Minuten vergehen in einem Lachanfall.

Grandioser Ausblick

Freitag, 16. Januar 2015

Rückblick: Thanirpalli, die Bestattung

Eine Zusammenfassung der letzten Woche (ich habe nichts geschrieben, weil es im Ashram keinen Internetanschluss gab, und auch, weil unsere Tage mit dem Tanzworkshop und mit anderen Aktivitäten voll waren): Ich habe auf der Veranda unseres Zimmers (eine “Zelle” mit zwei groben Holzbetten, zwei Moskitonetzen, einem abnschliessbaren Blechschrank) im Schatten gesessen und ein wunderbares Buch ausgelesen, das ich noch in Chennai gekauft habe.( Mishra Pankaj: The Romantics) Ich habe ein anderes Buch angefangen: Michael Wood. A South Indian Journey. Wir haben an den Vormittagen und an den Abenden in der runden Yogahalle des Ashrams getanzt, wir haben nach dem Frühstück Gemüse geschnippelt und die Yogahalle sauber gemacht. Wir sind oft noch vor Sonnenaufgang (ungefähr um 6 Uhr) ins Dorf gegangen, um bei einem Tea Stall süssen Milchtee zu trinken und dem Dorf bei seinen Morgenaktivitäten zuzusehen. Frauen, die mit grossen Plastikbehältern Wasser von der Wasserleitung auf der Strasse holten, Männer, die mit dem Fahrrad ankamen, einen Stahlbehälter mit Henkel am Lenker baumelnd, und vom Tea Stall den Morgentee für die Familie abholten. Frauen, die vor dem Eingang des Hauses mit Reismehl ein Kolam, eine Art Mandala auf den Beton oder den Sand zeichneten (das tun sie, indem si edas Reismehl durch die Finger rieseln lassen, eine Technik, die sehr viel Übung erfordert, was wir verstanden haben, als wir selber einmal dazu aufgefordert wurden). Später konnte man Kinder in Schuluniform sehen, auf dem Weg zur Schule, Frauen, die am Fluss Kleider (und sich selbst) wuschen, Büffelkarren, diem it Sand beladen waren. Wir schauten in einer grossen Weberei einem Weber zu, der gerade einen Sari mit einem filigranen Muster webte, in feinstem Garn (”one day”, antwortete er zu unserem Erstaunen, als wir fragten, wie lange es dauert, einen Sari zu weben). Manchmal fuhren wir am Nachmittag mit der Riksha in den grösseren Nachbarort Kulithalai, um einzukaufen (ich kaufte einen Stahlbehälter, wie ich ihn bei den Männern am Morgen gesehen hatte, einige Bettlaken und Batterien für meinen Mückenstick, den ich in diesen Tagen fleissig benützte.).
Bruder und Schwester in Thanirpalli

Kricketspieler in Thanirpalli



Am Tag vor unserer Abreise fand an dem Bestattungsplatz in der Nähe des Ashrams eine Feuerbestattung statt. Wir waren vom Trommeln aufmerksam gemacht worden, von dem wir inzwischen schon wissen, dass es einen Bestattungszug ankündigt. Ein grauer Ambassador mit einer blumengeschmückten Leichenbahre kam am Gittertor des Ashrams vorbei gefahren, und da wir Paneer sahen, einen Inder aus dem Dorf, den wir von den morgendlichen Teestunden flüchtig kannten (er unterrichtet die Jugendlichen im Dorf in einem tamilischen Kampfsport), konnten wir fragen, ob es in Ordnung war, wenn wire in wenig mitgingen und zusahen, zumal an der Bestattung traditionsgemäss nur Männer teilnehmen (die Frauen erledigen die Arbeit zuvor zu Hause). Der Enkelsohn der Toten – eine 81jährige Frau, die in der Nacht an einer Herzattacke gestorben war – fand es in Ordnung, wenn wir mit dabei waren, und wir wurden sogar etwas wie eine Attraktion. Die jüngeren Männer sammelten sich in einer Traube um uns und bombardierten uns mit Fragen, andere zückten ihr Handy, um uns zu fotografieren, und währenddessen wurde der Leichnam der Frau, der in ein Tuch eingewickelt war, auf die bereits sorgfältig aufgeschichteten Holzscheite gelegt und für das Feuer vorbereitet. Es herrschte eine seltsame, eher ausgelassene, Stimmung. Die Männer standen in kleinen Grüppchen herum und unterhielten sich, lachten, riefen durcheinander. Nur die Bestatter waren auf den Leichnam konzentriert, von dem wir das graue, in der Mitte gescheitelte Haar sehen konnten, das unter dem Tuch hervorschaute. Der Bestatter schichtete leere Kokosschalen um den Körper, steckte sie unter den Kopf, dann wurde trockenes Stroh darüber verteilt, auf das man schliesslich aus Tonbehältern nassen Lehm kippte, den man mit den Händen verschmierte. In diese Lehmschicht wurden mit einem Stäbchen Löcher gestochen.

Die Musiker sassen ein wenig entfernt an einen Baum gelehnt und hatten ihre Instrumente bereits eingepackt. Der Bestatter, der am Fussgelenk einen weissen Mullverband hatte, arbeitete konzentriert weiter. Der Enkel, ein junger Mann mit rotgeäderten Augen, der, wie viele der anderen Verwandten, einen dezenten Alkoholduft absonderte, trug ein schwarzweiss kariertes Hüfttuch und um den Hals eine Kette, von der ein grosses Kreuz auf seine nackte Brust baumelte. Das veranlasste uns zu der Frage, ob er Christ sei. Nein, sagte er, erstaunt über unsere Frage. Christen steckten ja schließlich ihre Toten in ”Kisten” (”boxes”).

Als ich die Feuerstelle am nächsten Morgen besuchte, bevor wir Richtung Kodaikanal weiter fuhren, schwelte die Glut noch, aber der Leichnam war restlos verbrannt. 

Der Enkel hatte uns am Tag zuvor eine kurze Lektion über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erteilt: ”Am einen Tag sind wir Menschen”, sagte er, ”am nächsten Tag…” – er machte eine Bewegung mit der Hand zur Erde hin und rieb die Finger gegeneinander, als liesse er Sand durch sie rieseln. Den Rest des Satzes ließ er offen.

Am Tag nach der Bestattung


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(Kodaikanal: Ich habe gerade eine einstündige Keralamassage mit Herbal Steam Bath hinter mir - man wird mit heissem Öl beträufelt und darf nicht gerade prüde sein, weil bei der Massage nur wenige Körperstellen ausgespart werden. - Hinterher ging ich mit ölglitschiger Haut und Haaren in die Hotelzimmerdusche, wo es allerdings nur kaltes Wasser gab. Jemand singt in der nahegelegenen Kirche ein Lied, mit dem man die Umgebung über Lautsprecher beschenkt - eine Gesangsstimme, die man mit viel Wohlwollen als gewöhnungsbedürftig bezeichnen kann. Zeit fürs Abendessen. Bis bald!) 

Mittwoch, 7. Januar 2015

Zum Thillai Nataraja Temple, dem Tempel des tanzenden Shiva

Sitze in der Hotellobby des Akshaya Hotels an einem grossen Marmortisch, durch die geöffneten Türen hört man den Verkehrslärm von der Strasse. Die Hotelangestellten unterhalten sich am Rezeptionsdesk leise.

Die Stadt Chidambaram wird von vielen Indern auch einfach nur "Tempel" genannt, weil die Stadt eigentlich nur ein Beiwerk ist zu dem riesigen Shivatempel und um ihn herum entstanden ist.

(Der Computer benimmt sich indisch, der Bildschirm flackert andauernd und setzt aus, und ich muss daran rütteln und den Winkel verändert, damit die Schrift zitternd zurück kommt. 90 % Luftfeuchtigkeit sind offenichtlich nicht besonders gut für elektronische Geräte. Dieses ständige Flackern macht mich ehrlich gesagt wahnsinnig. Ich will deshalb nur etwas über die diensthabenden Brahminen im Tempel schreiben, die Dikshitar.)

Die Dikshitar erkennt man, auch wenn man in der Stadt unterwegs ist, an ihrer speziellen Aufmachung. Sie tragen weisse Hüfttücher zum nackten, mit der dünnen weißen Brahminenschnur gekennzeichneten, Oberkörper, das Kopfhaar ist zur Hälfte abrasiert und der Rest des Haares wird in einem Knoten an der Seite des Kopfes getragen. Im Tempel besorgen sie die Riten, aber auch die etwas profaneren Tätigkeiten, wie etwa den Verkauf von Frittiertem und von süssen Bällchen und das Eintreiben von Tempelspenden, vor allem von weißen Nicht-Indern. Sie heiraten nur untereinander.

(Zwischenbemerkung: Mücken haben gerade damit angefangen, meine Füsse anzuknabbern - nur gut, dass ich einen speziellen elektronischen Mückenstick habe, mit dem ich die Stiche später behandeln kann, so dass sie nicht jucken.)

Diese weissgekleiteden Brahminen wuseln also im Tempel herum. Es gibt sie in allen Altern (vom etwa zwölfjährigen Jungen zum über siebzigjährigen Greis am Stock). Wenn es Zeit ist für das grosse Ritual (dreimal am Tag), an dem nicht nur der Gott Shiva mit allen möglichen Ehren bedacht wird, sondern auch sein Reittier, Nandri, die Kuh, dann schwänzeln diese Brahminen in grosser Zahl in dem innersten Heiligtum des Tempels herum, einem Schrein mit Türen aus Silber, die bei der Gelegenheit aufgefaltet werden. Die ständig durch die Türen in einer nicht erkennbaren Ordnung ein- und ausmarschierenden Brahminen haben mich deshalb gestern abend unvermittelt an ein Puppentheater denken lassen, vielleicht auch, weil viele der in die Jahre gekommenen Brahminen beachtlich gewölbte Bäuche und einen etwas watscheligen Gang haben und zudem ein geflochtenes Plastiktäschchen am Unterarm mit sich herumtragen.

Nandri wird entkleidet (er trägt einen Schal), wird dann mit Wasser und Milch und wieder mit Wasser übergossen. Dann legt man ihm wieder den Schal um und schmückt ihn mit Blumen. Das geschieht ohne viel Brimborium, eher wie eine alltägliche Notwendigkeit. Währenddessen finden im innersten Raum des heiligen Schreins Rituale statt, die wir von unserem Zuschauerplatz aus nicht sehen können. Ständig laufen Brahminen hierhin und dorthin, dann wieder plaudern sie, schöpfen etwas Wasser aus einem grossen Metallbehälter, giessen es in einen anderen Behälter, sie laufen mit Feuer herum, sie verteilen ein wenig Essen in die Handflächen der sich herandrängenden Pilger, dann wieder schüttelt einer eine grosse Glocke usw. Eigentlich weiss man nicht genau, wann das Ritual eigentlich anfängt und wann es aufhört oder ob es tatsächlich schon im Gange ist oder ob alles nur eine Vorbereitung darstellt, aber irgendwann einmal ist dann wirklich Schluss und die Türen werden geschlossen und man trollt sich davon.

Ich habe gerade ein wenig in der Hotellobby herumgeschaut und an einer der grossen Glasscheiben einen kleinen Gecko entdeckt. Er klebt da einfach, unbewegt, wahrscheinlich hat er vor die Nacht da zu verbringen. Und ich gehe jetzt auch nach oben ins Hotelzimmer. Erstens sind die Mücken jetzt etwas zu aufdringlich. Zweitens muss ich noch packen, da wir morgen früh weiterfahren.

Sadhu in Chidambaram

Teestand in Chidambaram

Pondicherry, der Ashram. Chidambaram, der Tempel.

Sitze auf dem Hotelbett im Hotel Akshaya in Chidambaram – die zwei Ventilatoren an der Decke laufen auf vollen Touren. Vor dem Fenster der Verkehrslärm der Tempelstadt Chidambaram.

Auf den Strassen sitzen die rot- oder schwarzgekleideten Pilgergruppen, die in schlecht gefederten Bussen ihre Tempeltour durch Südindien absolvieren. Sie ruhen sich in der relativen Kühle des Abends aus, plaudern, essen Reisfladen oder Chapati mit Sambal aus ihren mitgebrachten Edelstahltiffins, bevor sie wieder in ihren Bus steigen und in die Nacht fahren.

Wir haben uns vom Bus aus manchmal gewundert, warum die Leute in Indien selten die Bürgersteige benutzen und sich lieber auf der Strasse den Verkehr um die Ohren brausen lassen. Aber heute abend, auf dem Weg zu einem Geldautomaten, wählten auch wir die Strasse. Auf dem Gehsteig muss man nicht nur häufig Menschen, sondern auch Müllhaufen, Hindernissen in Form von abgestellten Mopeds, Teeständen oder grossen klaffenden Löchern ausweichen. Dagegen geht es auf der Strasse recht unbehindert voran (und die Auto-, Riska- und Mopedfahrer weisen einen rücksichtsvollerweise immer durch Hupen darauf aufmerksam, dass sie in Anfahrt sind).

Ich begann den Tag noch vor dem Frühstück mit einem Besuch im Sri Aurobindo Ashram in Pondicherry (das jetzt im Rückblick wie eine lauschige, entspannte Stadt erscheint), ging barfuss in den stillen Innenhof, in dem schon viele Besucher – die meisten Inder – dem Grab (der marmornen Gruft) des Gurus Sri Aurobindo einen Besuch abstatteten. Viele berührten die mit Blüten bedeckte Grabplatte mit ihren Händen oder ihrer Stirn, andere sassen in einem der Laubengänge, die den Innenhof einsäumen, auf dem Boden und meditierten oder sassen nur still da. Ich kaufte in der Buchhandlung des Ashrams drei schmale Bücher. In diesen Kaufvorgang waren drei Personen verwickelt (ausser mir). Eine Frau tippte die Büchernummern in den Computer, sagte mir den Preis und nahm das Geld entgegen, ein Mann stempelte die gedruckte Quittung , und eine Frau legte die Bücher in eine Papiertüte und reichte sie mir (und das alles um 8 Uhr morgens). Dann ging ich zum Frühstücken ins Hotel, wurde wie gestern gefragt, ob ich zu den Cornflakes kalte oder warme Milch haben will (kalte!), ob ich den Kaffee schwarz oder mit Milch trinke (schwarz!), in welcher Form ich mein Ei essen will (gebraten, und zwar von beiden Seiten!). Die Hotelbesitzerin bat uns beim Abschied, dass wir ihr Hotel bei ”Trip Advisor” positiv bewerten sollten (was wir versprachen!) und machte dann mit ihrem IPad ein Gruppenbild von uns neben dem kleinen Krishnabrunnen in der Lobby, in dem wie immer frische Blütenblätter und eine Seerose aus Plastik schwammen.

Auf der Busfahrt von Pondicherry nach Chidambaram (im Non-A/C-Bus) wurde ich von Kopfschmerzen geplagt, stellte aber trotzdem Überlegungen über das an, was ich am Strassenrand sehen konnte. Vor allem unterzog ich die Hüfttücher der Männer einer genaueren Betrachtung. Die meisten Männer in Südindien tragen noch Hüfttücher aus Baumwolle (Lungi), die sie einfach nur um ihre Hüften schlingen. Meistens schlagen sie diese Tücher dann um und stopfen sie in den Bund, so dass eine Art gerüschter Minirock entsteht.

Das Design der Stoffe ist hier recht einheitlich, meistens kariert in irgendeiner Kombination der Farben grün-braun-blau-weiss. Es gibt jedoch auch einfarbige Lungis, und an der Farbe der Lungis (rot, grün, schwarz) kann man bei Pilgergruppen sehen, welchen Gott sie verehren oder zu welchem Tempel sie gerade auf dem Weg sind. Ich sah heute aber auch lila-karierte Tücher und ein neues Design mit gewagten Pyramidenformen. Bei feierlichen Anlässen sind die Lungis oft besonders feierlich (weiß mit Goldkante), Sadhus erkenntn man an der orangen und Brahmanen an der weißen Farbe ihrer Lunigs. Dass die Männer im Alltag zu ihrem Lungi gern Hemden tragen (gern kariert), siehe hier, bringt ein seltsames Gemisch an westlichem und indischem Stil mit sich. Männer, die zudem ein Handtuch um den Kopf geschlungen haben, sind häufig Arbeiter. 

Unser Tempelbesuch:
Heutzutage sind natürlich auch die indischen Pilger mit Smartphones unterwegs. Im Tempelbereich gab es eine regelrechte Knipsparty, bei der die Mitglieder einer rotgekleideten Pilgerinnengruppe unsere weisshäutige (buntgekleidete) Gruppe knipste und zurückgeknipst wurde, unter viel Gelächter und Hallo, und schliesslich mischten sich die Gruppen auf der Treppe zum Wassertank des Tempels, rot gekleidete Inderin sass neben bunt gekleideter Weisser, ständig war ein Smartphone in der Luft, bis man sich mit Händedruck verabschiedete und weiter ging.

Mann mit Kokosseil im Tempel von Chidambaram

Ich kaufte an einem der Tempelstände Farbpigmente in kleinen Plastiktüten, nachdem ich meine Schuhe an einem der Schuhaufbewahrungsständen wieder abgeholt hatte, wo man sie abliefert, wenn man den Tempel betritt. Es gab einen Dosa (ein typisches Essen in Südindien: knuspriger Pfannkuchen aus Reismehl, oft gefüllt mit einer vegetarischen Kartoffelmischung und serviert mit Kokoschutney und Sambal) im Hotelrestaurant und schliesslich den Ausflug zum ATM in der Nähe des Hotels, mit vielen Hallos und “Come from?” und lachenden Gesichtern.

Montag, 5. Januar 2015

Die Geräusche, die Gerüche

(P kam gerade ins Hotelzimmer und brachte in roten Tupperware-Bechern heissen mit Kardamon und Ingwer gewürzten Milchtee vom Teestand. Der Ventilator dreht sich an der Decke mit einem rhythmischen Flap-Flap und P hat in ihrem Zimmer - wir haben nämlich eine Suite mit zwei Zimmern! - sogar die Klimaanlage eingeschaltet.) 

Heute haben wir die Weberei und die Papiermanufaktur des Sri Aurobindo Ashrams besucht, beides in der Nähe des Hotels, so dass wir in der Vormittagssonne zu Fuss dorthin gingen, vorbei an den üblichen Müllhaufen, streunenden Hunden, einer Mopedwerkstatt (die aus einem winzigen blauen Schuppen bestand, in der ein Haufen Schrott lag), vorbei an Bananenverkäufern und Ständen mit grünen Kokosnüssen, die man mit einem Strohhalm leertrinkt, nachdem der Verkäufer sie mit einer gebogenen Machete geöffnet hat.

Pondicherry ist sehr erholsam, mit schattigen und ruhigen Strassen, die französische Namen haben, mit einer Strandpromenade und frischer Meeresluft, mit mehreren Cafés, in denen richtiger Kaffee serviert wird (spanischer, amerikanischer, französischer und italienischer) und in denen man Brownies mit Gabel von einem Teller oder Veggieburger mit Pommes Frites essen kann. Ich entschied mich allerdings gestern abend dafür, an einem der Marktstände am Meer ein Curry zu essen, das seltsamerweise im Pappteller auf einem süssen Brötchen (!) serviert wurde. Danach nahm ich einen frischen Fruchtsalat zu mir, bestehend aus Papaya, Wassermelone und Ananas in einem Plastikbecher. Beides zusammen kostete gerade mal 50 Cent. 

Heute gingen wir nach einer kurzen Shopping-Tour (Kleider) in einem indischen Restaurant essen. Durch die getönten Fenster schauten wir auf den Hinterhof, wo gerade eine Bananenstaude in Blüte stand. Wir bestellten südindisches Thali, das auf einem runden, mit Bananenblatt ausgekleideten, Stahlteller serviert wurde (in den einfacheren Lokalen wird das Essen direkt vom Bananenblatt serviert). "Thali" bedeutet eigentlich auch "Teller" (das heißt, dass unser Wort "Teller" vom indischen Thali-Gericht herkommt). Es besteht aus verschiedenen Currys und Süppchen (sie befinden sich in kleinen Stahlschälchen), die man in einer bestimmten Reihenfolge mit dem Reis mischt, den einem ein Keller mit einem breiten Metall-Löffel aufs Bananenblatt gelöffelt hat. Auch zwei Klicks von verschiedenen ("very tasty") Chutneys wurden uns heute daneben gelöffelt. Traditionell isst man natürlich mit der Hand, und das tun wir auch, aber ich hoffe immer, dass kein Inder genau hinschaut, weil wir wahrscheinlich die Technik von dreijährigen Kindern haben, die mit den Händen in ihrem Essen herumpantschen. Da in Indien das Essen mit der linken Hand (aus "hygienischen" Gründen) immer noch verpönt ist, greife ich aber auch gern mal zum Löffel, den die Kellner uns Nicht-Indern diskret an den Tisch bringen.

Wir wollten heute einen ruhigen Tag  haben und fuhren nach dem Mittagessen mit der Rikscha in den Botanischen Garten. Ein Schild informierte uns darüber, dass hier ein Teil des Films "Life of Pi" gedreht wurde (der "Zoo" im Film). Die Bilder im Film waren Bilder eines idealen Indien, aber wir liefen im wirklichen Indien herum, und hier gab es keine Flamingos und andere farbenprächtige Vögel, sondern stattdessen ein paar magere Hunde, die hofften, dass die Besucher des Parks (erstaunlich viele junger Männer, die in Paaren auf den Steinbänken sassen oder im Schatten unter einem der hohen Bäume lagen) etwas Essbares für sie übrig hätten. Wir legten uns in den Schatten, lasen und schliefen ein wenig und wurden schliesslich etwas unanganehm von den Bissen der riesigen Ameisen geweckt, die sich in unsere Kleidung verirrt hatten. 

Dann nahmen wir eine Riksha zum Hotel. Das gehört zu den angenehmsten Dingen in Indien. Man braucht sich nur irgendwo an den Strassenrand zu stellen, und schon kommt - schwupps! - eine Rikscha herbeigeknattert und nimmt einen mit.

Alles ist momentan sehr entspannt - was für euch, die ihr das lest, natürlich ein wenig langweilig ist... Hoffentlich bleibt ihr trotzdem dran. 

Bis bald!


Müde in Puducherry

Sitze gerade in unserem fensterlosen Hotelzimmer in Puducherry (Pondicherry), habe nach eine Kanne Kaffee bestellt und den Computer ausgepackt.

(Die Roma-Familien in Mamalappuram, die versuchen, billige Halsketten und selbstgenähte kleine Stoffbeutel an Touristen zu verkaufen. Wir gaben einer Familie, die vor unserem Hotel am Strassenrand wohnte, eine gelbe Plastikdose in Form einer Banane, für die wir keine Verwendung mehr hatten. Der Junge schlängelte sich sofort nach vorne und versuchte, sie mir aus der Hand zu reissen. Der Vater drängte ihn zur Seite, nahm die Bananendose entgegen und gab sie seiner kleineren Tochter.)

Freitag, 2. Januar 2015

Die ersten Tage

Hotelzimmer in Chennai


Seit ich das letzte Mal in Indien war, hat sich etwas Wesentliches geändert: alle Hotels bieten jetzt WiFi an. Deshalb befinde ich mich nicht in einem stickigen Internetspot mit lärmenden Ventilatoren wie auf den anderen Reisen und tippe auf einer schwer gängigen indischen Tastatur, sondern ich sitze auf der Dachterrasse unseres Hotels Ramakrishna in Mamallapuram in der angenehm erfrischenden Brise des späten Nachmittags (es ist 17 Uhr) und tippe auf einem Laptop, der von Schweden hierher gereist ist. Vom Tempel am Strand, wo gerade ein grosses Tanzfestival stattfindet, ist Musik zu hören, die sich mit Vogelgesang und Verkehrslärm vermischt.

Die ersten Tage haben wir in Chennai verbracht, und dort bin ich normalerweise viel zu überwältigt von den ersten Eindrücken, um überhaupt etwas schreiben zu können.

Diese Milchbar hat mir gefallen


Versuch mich zu erinnern: 

Immer wieder Regenschauer. Eine Rikschafahrt im strömenden Regen, mit einem Rikschafahrer, der den Weg nicht wusste und immer wieder aussteigen und nachfragen musste. Ausserdem ging auch der Motor der Rikscha mindestens fünfzehn Mal aus, und der Rikshafahrer brauchte regelmässig mehrere Versuche, um ihn wieder zum Anspringen zu bringen (und jedesmal dachte ich: na, jetzt klappt es aber nicht). Die Strassen hatten sich in Bäche verwandelt, und wer schon einmal in Indien gewesen ist, weiss, dass hier auch der Verkehr ist wie ein Strom. Rote Ampeln sind nur sekundär oder tertiär wichtig, ständig schlängeln sich Motorräder durch die fahrenden und drängelnden Autos, hin und wieder taucht auch ein Fahrradfahrer auf, bei Regen natürlich mit Regenschirm.   

Im Kapaleeshwarar Tempel kam ein freundlicher alter Mann auf uns zu und drückte uns mit dem Daumen einen weissen Punkt auf die Stirn und verwischte ein wenig weisses Pulver auf unserem Hals und in unseren Handflächen. Dann führte er uns im Tempel herum, immer wieder "WAS!" ("Kommt!") rufend, legte Blumenketten um unsere Handgelenke und zeigte uns den Tempel-Kuhstall, in dem wir gegen eine kleine "freiwillige" Gebühr eine der Kühe berühren durften. Er versuchte sogar, uns auf einem Geheimweg in das Tempelinnere hineinzuschleusen, das eigentlich für Nicht-Hindus nicht zugänglich ist, aber da bedankten wir uns freundlich und duckten uns unter den Bambusstangen weg, die in den Tempeln die Besucherströme organisieren helfen. Am Ende wollten wir ihm als Dank für seine "Tempelführung" zwanzig Rupies in die Hand drücken, aber da zeigte er sich sehr entrüstet und beleidigt. Hundert Rupies oder gar nichts, Ende der Diskussion! Als er schliesslich die gewünschten hundert Rupies bekam, klatschte er erfreut in die Hände und gab uns seinen Segen. 

Ich traf in Chennai "meinen" Rikshafahrer wieder, der immer vor dem YWCA steht und auf Kunden wartet. Bei unserer letzten Begegnung vor vier Jahren hatte er eine neue Riksha und eine goldene Uhr und war glänzender Laune. Dieses Mal sah er aus, als würde er auf der Strasse schlafen, er trug schmutzige Kleider und hatte dunkle Ringen unter den Augen. Als ich ihn fragte, wie es ihm geht, fing er an zu weinen und sagte, die Riksha sei nur gemietet, er habe im letzten Jahr eine Operation gehabt und sei ausserdem zuckerkrank. Wir beschlossen, ihm etwas Geld zu geben (auch als Entschädigung dafür, dass wir dieses Mal wegen des Wetters öfter ein Taxi nahmen als eine Riksha), und als ich ein paar Stunden später durch den Park vor dem Hotel ging, rief er nach mir. "Madam!" "You friend", sagte er, und schenkte mir seinen schwarzweiss gestreiften Schal. 

Wir sind jetzt in Mamallapuram, dem Steinmetzdorf, in dem wir immer halt machen, weil hier jedes Jahr im Januar ein Tanzfestival stattfindet, ein kleiner Ort am Meer, in dem sich nicht nur einige der grossen Sehenswürdigkeiten des Südens befinden, eine Art riesiger Skulpturenpark aus dem 7. Jahrhundert und ein aus einem Stein gehauener Tempel, sondern das sich in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch zu einer Art Mekka des Hippietourismus entwickelt hat. Man begegnet hier heute europäischen oder amerikanischen Touristen mit Shorts und Tanktops und wird ständig von Geschäftsinhabern aus Kashmir freundlich gegrüsst und darauf hingewiesen, dass es sehr gut für einen wäre, gerade heute in ihrem Geschäft etwas zu kaufen. Im "Buddhacafé" wurde ich heute von einem fürchterlich schlecht gelaunten Inder mit einem dreckigen Hemd und gefärbten Haaren bedient, der mir einen "Organic Ginger Lemon Soda" im trüben Plastikglas vor die Nase knallte und mir dann einen teigigen "Banana Honey Pancake" servierte, all das zum Dreifachen des Preises, den man in einem einfachen indischen Restaurant für ein ganzes Mittagessen bezahlt (selber schuld, wenn man unbedingt ins "Buddhacafé" gehen will!).

Ein Kolam in Mamallapuram

Jetzt geht die Sonne unter, vom Tanzplatz hört man frenetische Musik, Trommeln und das für Tamil Nadu typische Blasinstrument Nadaswaram. Neben mir hängen an einer Wäscheleine die Unterhosen, die ich heute gewaschen habe und etwas optimistisch in 90% Luftfeuchtigkeit zu trocknen versuche. Ich werde mir gleich einen Eimer Wasser über den Kopf schütten und dann beim Schneider eine Hose abholen, und mir später noch ein wenig indischen Tanz anschauen.

(Es ist hier achtzehn Uhr, also viereinhalb Stunden später als in Deutschland, und jetzt wird es dunkel. Geschätzte Temperatur ca. 25 Grad)