Freitag, 2. Januar 2015

Die ersten Tage

Hotelzimmer in Chennai


Seit ich das letzte Mal in Indien war, hat sich etwas Wesentliches geändert: alle Hotels bieten jetzt WiFi an. Deshalb befinde ich mich nicht in einem stickigen Internetspot mit lärmenden Ventilatoren wie auf den anderen Reisen und tippe auf einer schwer gängigen indischen Tastatur, sondern ich sitze auf der Dachterrasse unseres Hotels Ramakrishna in Mamallapuram in der angenehm erfrischenden Brise des späten Nachmittags (es ist 17 Uhr) und tippe auf einem Laptop, der von Schweden hierher gereist ist. Vom Tempel am Strand, wo gerade ein grosses Tanzfestival stattfindet, ist Musik zu hören, die sich mit Vogelgesang und Verkehrslärm vermischt.

Die ersten Tage haben wir in Chennai verbracht, und dort bin ich normalerweise viel zu überwältigt von den ersten Eindrücken, um überhaupt etwas schreiben zu können.

Diese Milchbar hat mir gefallen


Versuch mich zu erinnern: 

Immer wieder Regenschauer. Eine Rikschafahrt im strömenden Regen, mit einem Rikschafahrer, der den Weg nicht wusste und immer wieder aussteigen und nachfragen musste. Ausserdem ging auch der Motor der Rikscha mindestens fünfzehn Mal aus, und der Rikshafahrer brauchte regelmässig mehrere Versuche, um ihn wieder zum Anspringen zu bringen (und jedesmal dachte ich: na, jetzt klappt es aber nicht). Die Strassen hatten sich in Bäche verwandelt, und wer schon einmal in Indien gewesen ist, weiss, dass hier auch der Verkehr ist wie ein Strom. Rote Ampeln sind nur sekundär oder tertiär wichtig, ständig schlängeln sich Motorräder durch die fahrenden und drängelnden Autos, hin und wieder taucht auch ein Fahrradfahrer auf, bei Regen natürlich mit Regenschirm.   

Im Kapaleeshwarar Tempel kam ein freundlicher alter Mann auf uns zu und drückte uns mit dem Daumen einen weissen Punkt auf die Stirn und verwischte ein wenig weisses Pulver auf unserem Hals und in unseren Handflächen. Dann führte er uns im Tempel herum, immer wieder "WAS!" ("Kommt!") rufend, legte Blumenketten um unsere Handgelenke und zeigte uns den Tempel-Kuhstall, in dem wir gegen eine kleine "freiwillige" Gebühr eine der Kühe berühren durften. Er versuchte sogar, uns auf einem Geheimweg in das Tempelinnere hineinzuschleusen, das eigentlich für Nicht-Hindus nicht zugänglich ist, aber da bedankten wir uns freundlich und duckten uns unter den Bambusstangen weg, die in den Tempeln die Besucherströme organisieren helfen. Am Ende wollten wir ihm als Dank für seine "Tempelführung" zwanzig Rupies in die Hand drücken, aber da zeigte er sich sehr entrüstet und beleidigt. Hundert Rupies oder gar nichts, Ende der Diskussion! Als er schliesslich die gewünschten hundert Rupies bekam, klatschte er erfreut in die Hände und gab uns seinen Segen. 

Ich traf in Chennai "meinen" Rikshafahrer wieder, der immer vor dem YWCA steht und auf Kunden wartet. Bei unserer letzten Begegnung vor vier Jahren hatte er eine neue Riksha und eine goldene Uhr und war glänzender Laune. Dieses Mal sah er aus, als würde er auf der Strasse schlafen, er trug schmutzige Kleider und hatte dunkle Ringen unter den Augen. Als ich ihn fragte, wie es ihm geht, fing er an zu weinen und sagte, die Riksha sei nur gemietet, er habe im letzten Jahr eine Operation gehabt und sei ausserdem zuckerkrank. Wir beschlossen, ihm etwas Geld zu geben (auch als Entschädigung dafür, dass wir dieses Mal wegen des Wetters öfter ein Taxi nahmen als eine Riksha), und als ich ein paar Stunden später durch den Park vor dem Hotel ging, rief er nach mir. "Madam!" "You friend", sagte er, und schenkte mir seinen schwarzweiss gestreiften Schal. 

Wir sind jetzt in Mamallapuram, dem Steinmetzdorf, in dem wir immer halt machen, weil hier jedes Jahr im Januar ein Tanzfestival stattfindet, ein kleiner Ort am Meer, in dem sich nicht nur einige der grossen Sehenswürdigkeiten des Südens befinden, eine Art riesiger Skulpturenpark aus dem 7. Jahrhundert und ein aus einem Stein gehauener Tempel, sondern das sich in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch zu einer Art Mekka des Hippietourismus entwickelt hat. Man begegnet hier heute europäischen oder amerikanischen Touristen mit Shorts und Tanktops und wird ständig von Geschäftsinhabern aus Kashmir freundlich gegrüsst und darauf hingewiesen, dass es sehr gut für einen wäre, gerade heute in ihrem Geschäft etwas zu kaufen. Im "Buddhacafé" wurde ich heute von einem fürchterlich schlecht gelaunten Inder mit einem dreckigen Hemd und gefärbten Haaren bedient, der mir einen "Organic Ginger Lemon Soda" im trüben Plastikglas vor die Nase knallte und mir dann einen teigigen "Banana Honey Pancake" servierte, all das zum Dreifachen des Preises, den man in einem einfachen indischen Restaurant für ein ganzes Mittagessen bezahlt (selber schuld, wenn man unbedingt ins "Buddhacafé" gehen will!).

Ein Kolam in Mamallapuram

Jetzt geht die Sonne unter, vom Tanzplatz hört man frenetische Musik, Trommeln und das für Tamil Nadu typische Blasinstrument Nadaswaram. Neben mir hängen an einer Wäscheleine die Unterhosen, die ich heute gewaschen habe und etwas optimistisch in 90% Luftfeuchtigkeit zu trocknen versuche. Ich werde mir gleich einen Eimer Wasser über den Kopf schütten und dann beim Schneider eine Hose abholen, und mir später noch ein wenig indischen Tanz anschauen.

(Es ist hier achtzehn Uhr, also viereinhalb Stunden später als in Deutschland, und jetzt wird es dunkel. Geschätzte Temperatur ca. 25 Grad)

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