Samstag, 24. Januar 2015

Ein Tag auf dem Boot

Heute haben wir eine acht-, nein fast neunstündige Bootsfahrt gemacht. Ausser Schauen tut man da nicht viel. Wir sassen auf dem Dach unter einem Sonnenschutz, alle Passagiere rückten dem Schatten hinterher, was dazu führte, dass das Boot sich manchmal zur einen, und dann wieder zur anderen Seite neigte. Wir waren angenehm davon überrascht, dass das Boot nicht grösser und nicht mehr bevölkert war. Ausser uns waren vielleicht noch fünfzehn Passagiere an Bord, davon einige Inder und zwei Männer, die chinesisch aussahen und bei der Essenspause auch Stäbchen aus ihrem Rucksack geholt, aber nie gesprochen haben, so dass ich nicht ganz sicher bin, woher sie kamen.

Ein grauhaariger Mann mit kurzem Haarschnitt, ärmellosem T-Shirt und Shorts las die Millenium-Trilogie von Stig Larsson auf Englisch und sah irgendwie sehr melancholisch und einsam aus, etwas, das ich bei alleinreisenden Männern oft feststelle - wenn sie sich nicht hinter einer riesigen Kamera verstecken wie der Tourist aus Australien, der seine Canon nur selten von seinem (bierernsten) Gesicht wegnahm und ständig mit seinem Teleobjektiv die Menschen heranzoomte, die auf dem Wasser und zu Land ihrer täglichen Arbeit nachgingen.

Wir winkten unaufhörlich nach links und nach rechts, denn ich habe kürzlich in einem Buch gelesen, dass man die Menschen in zwei Gruppen einteilen kann: solche, die von einem Boot zurückwinken, wenn ihnen ein Kind zuwinkt und solche, die es nicht tun, und ich wollte ganz bestimmt nicht zu der zweiten Gruppe gehören. Wir winkten nicht nur Kindern zu - Schulkindern und vorlauten Halbwüchsigen, die in Bäumen saßen, sondern auch Arbeitern, Fischern, Müttern und Vätern mit ihren Kleinkindern, Wächtern in olivfarbener Uniform, Frauen, die am Fluss Wäsche wuschen.

Bei einer kleinen Hütte am Rand eines Dorfs machten wir Halt und assen zu Mittag, ein Kerala-Thali auf Bananenblatt, mit dem typischen Rundreis der Gegend, mit Zitronenchutney und verschiedenen Gemüsecurrys. Ausserdem bekamen wir ein paar Stückchen gebratenen Fisch, stellten aber beim Bezahlen fest, dass man für jedes Stückchen Fisch extra bezahlen musste. Ein wenig Bauernnepp. Eine amerikanische Mitreisende, die nicht mit uns ass, sondern an einem Baum gelehnt vor dem Bootsanleger sass und irgendetwas Mitgebrachtes verzehrte, erzählte dem Bootsführer nach dem Essen triumphierend, sie habe die Geschichte schon gehört, von den kleinen Fischstückchen, die man teuer bezahlen müsse, haha, und er verteidigte den Preis, indem er aufzählte, was so ein frittierter Fisch alles enthält an Gewürzen und Fett und Arbeit.

Die schlaue amerikanische Touristin stieg dann gemeinsam mit einem Franzosen bei Ammas Ashram aus, das wie zwei rosarote Wolkenkratzer in den Himmel ragt und in der ländlichen Gegend etwas deplatziert wirkt, so wie auch die zuckerig rosarote Brücke, über die man den Ashram erreichen kann. Auf einer Dachterrasse sahen wir an einer Wäscheleine weisse Kleider im Wind flattern, das Kennzeichen der Amma-Anhänger.

Ich sitze jetzt im Hotelzimmer, der Ventilator dreht sich an der Decke. Die Bettlaken sind rosa geblümt und etwas zum Zudecken gibt es nicht, man wird es auch nicht brauchen. Die Fenster sind weit geöffnet, aber mit Mückennetz versehen. Ich habe mir den Tagesschweiss mit einer Bucket Shower abgewaschen und das kalte Mineralwasser, das ich mir vor etwa einer Stunde von einem der jungen Männer habe geben lassen, die hier arbeiten, ist schon wieder warm.

Wir haben in einem einfachen Lokal in der Nähe etwas zu Abend gegessen, sind etwas geschockt davon, dass wir nach einem ganzen Tag in der Idylle (und vier Tagen in der Abgeschiedenheit am Meer) wieder in einer indischen Stadt gelandet sind. Mir fehlt Tamil Nadu ein wenig. Hier in Kerala ist alles ein wenig "normaler"; alles ist ein wenig touristischer, ein bisschen weniger verrückt.

Alapuzzha ist die Stadt der Schirmherstellung - für morgen ist also der Besuch in einem Schirmladen angesagt.


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