Freitag, 16. Januar 2015

Rückblick: Thanirpalli, die Bestattung

Eine Zusammenfassung der letzten Woche (ich habe nichts geschrieben, weil es im Ashram keinen Internetanschluss gab, und auch, weil unsere Tage mit dem Tanzworkshop und mit anderen Aktivitäten voll waren): Ich habe auf der Veranda unseres Zimmers (eine “Zelle” mit zwei groben Holzbetten, zwei Moskitonetzen, einem abnschliessbaren Blechschrank) im Schatten gesessen und ein wunderbares Buch ausgelesen, das ich noch in Chennai gekauft habe.( Mishra Pankaj: The Romantics) Ich habe ein anderes Buch angefangen: Michael Wood. A South Indian Journey. Wir haben an den Vormittagen und an den Abenden in der runden Yogahalle des Ashrams getanzt, wir haben nach dem Frühstück Gemüse geschnippelt und die Yogahalle sauber gemacht. Wir sind oft noch vor Sonnenaufgang (ungefähr um 6 Uhr) ins Dorf gegangen, um bei einem Tea Stall süssen Milchtee zu trinken und dem Dorf bei seinen Morgenaktivitäten zuzusehen. Frauen, die mit grossen Plastikbehältern Wasser von der Wasserleitung auf der Strasse holten, Männer, die mit dem Fahrrad ankamen, einen Stahlbehälter mit Henkel am Lenker baumelnd, und vom Tea Stall den Morgentee für die Familie abholten. Frauen, die vor dem Eingang des Hauses mit Reismehl ein Kolam, eine Art Mandala auf den Beton oder den Sand zeichneten (das tun sie, indem si edas Reismehl durch die Finger rieseln lassen, eine Technik, die sehr viel Übung erfordert, was wir verstanden haben, als wir selber einmal dazu aufgefordert wurden). Später konnte man Kinder in Schuluniform sehen, auf dem Weg zur Schule, Frauen, die am Fluss Kleider (und sich selbst) wuschen, Büffelkarren, diem it Sand beladen waren. Wir schauten in einer grossen Weberei einem Weber zu, der gerade einen Sari mit einem filigranen Muster webte, in feinstem Garn (”one day”, antwortete er zu unserem Erstaunen, als wir fragten, wie lange es dauert, einen Sari zu weben). Manchmal fuhren wir am Nachmittag mit der Riksha in den grösseren Nachbarort Kulithalai, um einzukaufen (ich kaufte einen Stahlbehälter, wie ich ihn bei den Männern am Morgen gesehen hatte, einige Bettlaken und Batterien für meinen Mückenstick, den ich in diesen Tagen fleissig benützte.).
Bruder und Schwester in Thanirpalli

Kricketspieler in Thanirpalli



Am Tag vor unserer Abreise fand an dem Bestattungsplatz in der Nähe des Ashrams eine Feuerbestattung statt. Wir waren vom Trommeln aufmerksam gemacht worden, von dem wir inzwischen schon wissen, dass es einen Bestattungszug ankündigt. Ein grauer Ambassador mit einer blumengeschmückten Leichenbahre kam am Gittertor des Ashrams vorbei gefahren, und da wir Paneer sahen, einen Inder aus dem Dorf, den wir von den morgendlichen Teestunden flüchtig kannten (er unterrichtet die Jugendlichen im Dorf in einem tamilischen Kampfsport), konnten wir fragen, ob es in Ordnung war, wenn wire in wenig mitgingen und zusahen, zumal an der Bestattung traditionsgemäss nur Männer teilnehmen (die Frauen erledigen die Arbeit zuvor zu Hause). Der Enkelsohn der Toten – eine 81jährige Frau, die in der Nacht an einer Herzattacke gestorben war – fand es in Ordnung, wenn wir mit dabei waren, und wir wurden sogar etwas wie eine Attraktion. Die jüngeren Männer sammelten sich in einer Traube um uns und bombardierten uns mit Fragen, andere zückten ihr Handy, um uns zu fotografieren, und währenddessen wurde der Leichnam der Frau, der in ein Tuch eingewickelt war, auf die bereits sorgfältig aufgeschichteten Holzscheite gelegt und für das Feuer vorbereitet. Es herrschte eine seltsame, eher ausgelassene, Stimmung. Die Männer standen in kleinen Grüppchen herum und unterhielten sich, lachten, riefen durcheinander. Nur die Bestatter waren auf den Leichnam konzentriert, von dem wir das graue, in der Mitte gescheitelte Haar sehen konnten, das unter dem Tuch hervorschaute. Der Bestatter schichtete leere Kokosschalen um den Körper, steckte sie unter den Kopf, dann wurde trockenes Stroh darüber verteilt, auf das man schliesslich aus Tonbehältern nassen Lehm kippte, den man mit den Händen verschmierte. In diese Lehmschicht wurden mit einem Stäbchen Löcher gestochen.

Die Musiker sassen ein wenig entfernt an einen Baum gelehnt und hatten ihre Instrumente bereits eingepackt. Der Bestatter, der am Fussgelenk einen weissen Mullverband hatte, arbeitete konzentriert weiter. Der Enkel, ein junger Mann mit rotgeäderten Augen, der, wie viele der anderen Verwandten, einen dezenten Alkoholduft absonderte, trug ein schwarzweiss kariertes Hüfttuch und um den Hals eine Kette, von der ein grosses Kreuz auf seine nackte Brust baumelte. Das veranlasste uns zu der Frage, ob er Christ sei. Nein, sagte er, erstaunt über unsere Frage. Christen steckten ja schließlich ihre Toten in ”Kisten” (”boxes”).

Als ich die Feuerstelle am nächsten Morgen besuchte, bevor wir Richtung Kodaikanal weiter fuhren, schwelte die Glut noch, aber der Leichnam war restlos verbrannt. 

Der Enkel hatte uns am Tag zuvor eine kurze Lektion über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erteilt: ”Am einen Tag sind wir Menschen”, sagte er, ”am nächsten Tag…” – er machte eine Bewegung mit der Hand zur Erde hin und rieb die Finger gegeneinander, als liesse er Sand durch sie rieseln. Den Rest des Satzes ließ er offen.

Am Tag nach der Bestattung


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(Kodaikanal: Ich habe gerade eine einstündige Keralamassage mit Herbal Steam Bath hinter mir - man wird mit heissem Öl beträufelt und darf nicht gerade prüde sein, weil bei der Massage nur wenige Körperstellen ausgespart werden. - Hinterher ging ich mit ölglitschiger Haut und Haaren in die Hotelzimmerdusche, wo es allerdings nur kaltes Wasser gab. Jemand singt in der nahegelegenen Kirche ein Lied, mit dem man die Umgebung über Lautsprecher beschenkt - eine Gesangsstimme, die man mit viel Wohlwollen als gewöhnungsbedürftig bezeichnen kann. Zeit fürs Abendessen. Bis bald!) 

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