Dienstag, 27. Januar 2015

Grüngesicht gegen Rotgesicht u.a.

Ich sitze auf dem Bett in unserem Hotel Spencer Home in Fort Kochi, es ist acht Uhr abends, der Ventilator läuft auf vollen Touren und versuche, die vergangenen zwei (drei?) Tage zu rekonstruieren, während P gerade ein Häufchen (einen Haufen?) Sachen zusammenstellt, die sie morgen per Post nach Hause schicken möchte, bevor wir den Flug nach Mumbai nehmen.

Die Hitze in Alapuzzha, der Junge mit den Popcorns am Strand, der uns Lieder vorsang und (auf meine Frage, wie alt er sei) auf Englisch bis 63 zählte.

Das Frühstück im Hof des Guesthouse, der Rabe, der herangeflogen kam und mit einer Toastscheibe im Schnabel davonsegelte.

Die zwei schweigenden Männer mit Motorrad, die P und mich zur Ayurveda-Massage abholten, der papierne Lendenschurz, mit dem ich auf die Massagebank stieg, die Masseurin, die mich fragte, ob ich Lehrerin sei, was ich der Einfachheit mit ”ja” beantwortete. (Darauf die schockierende Reaktion: ”Look like teacher!”)

Der Rikshafahrer, der uns am Strand aufgabelte und uns dann den Rest des Tages die Treue hielt. Wir fuhren zu viert mit einer Riksha, was bedeutete, dass drei auf der Rückbank saßen und ich neben dem Fahrer auf der schmalen Fahrerbank sass und mich krampfhaft am Gestänge der Riksha festhielt, um nicht herauszufallen. Dabei erzählte er mir eine Menge: über den Streik, der heute Kerala lahmgelegt hat (er schilderte ihn allerdings in viel drastischeren Worten, denn wir glaubten zuerst, dass wir nirgendwo etwas zu essen finden würden), und dann auch über Ausländer, die in Alapuzzha Restaurants und Gästehäuser besitzen und diese dann von einer indischen Belegschaft betreiben lassen und nur ein- oder zweimal im Jahr kommen, um nachzusehen, dass auch alles seine Ordnung hat. Jedenfalls habe ich das so verstanden.

Alapuzzha ist berühmt für seine Schirme, also fuhren wir zu ”Popy”, dem berühmten Schirmladen (vermutlich noch aus britischen Zeiten), wo uns am Vormittag, kurz nach der Öffnung, von der Verkaufstheke aus ungefähr fünfzehn erwartungsvolle Verkäufer entgegenblickten. Stolz führte man uns die Sondermodelle vor: einen Doppeldeckerschirm, einen gigantischen rosa Schirm in Herzform, Schirme aus Spitze, Schirme aus Seide, Kinderschirme mit Elefanten und tropischen Vögeln und was weiss ich nicht alles. Ich entschied mich für einen Schirm mit UV-Schutz, der mir heute schon gute Dienste geleistet hat und für einen ”Seiden”-Schirm, der oben lila schimmert und unten rosa. Meine Farben!

Unser Rikshafahrer fuhr uns zum Abendessen in ein Strandlokal mit dem Namen ”Dreamer’s Restaurant”, und da sassen wir in einer Nachkonstruktion eines Kerala-Hausboots im offenen Obergeschoss, liessen uns ein wenig Meeresbrise um die Nase wehen, und ich ass ein hervorragendes Fischcurry und Naan mit Knoblauch und Käse, eines der besten Gerichte in den gesamten vier Wochen, die wir bisher hier gewesen sind.

Auf Kochi war ich nicht richtig vorbereitet. Kochi ist eines dieser Traveller-Mekkas, die man immer mal wieder in solchen Ländern findet, die sonst eher anstrengend sind und einem viel Anpassungsvermögen und Geduld abverlangen. Kochi ist nämlich eine Stadt, in der man trotz der tropischen Wärme plötzlich ein wenig aufatmet, wo man sich in ein luftiges Teehaus setzt und Orangenkuchen isst, wo man Informationen über Kunstausstellungen findet oder sich in einem von allen Reisebüchern empfohlenen Restaurant von einem gut gelaunten weissbärtigen Inder bedienen lässt, der fliessend Englisch spricht und auf die Bestellung mit einem sehr amerikanischen ”Sure!” antwortet. Auch die Buchhändlerin, bei der ich sofort vier Bücher von Pankaj Mishra finde (von dem sie sagt, er sei ein ”popular guy”), spricht hervorragend Englisch und bietet an, nicht nur die neu gekauften Bücher, sondern auch die restlichen Reisebücher, die man so mit sich herumschleppt (kein ebook-Reader mehr!), zu einem nach Hause zu schicken. Um die Bücher zu wiegen, stellt sie zuerst sich auf die Waage und notiert das Gewicht, und dann stellt sie sich mit dem Bücherkarton auf die Waage, und das, während hinter uns die Schlange der Kunden immer länger wird.

Trotz landesweitem Streik (wegen eines korrupten Regierungsbeamten) hatten einige Lokale und Cafés geöffnet, und das Postamt konnte man von der Rückseite des Gebäudes, sozusagen vom Personaleingang aus, betreten, was uns ein Polizist mitteilte, der vor dem Haupteingang auf einer Bank sass.

Ich war heute schon früh auf (um halbsechs) und ging erst zum Strand, wo ich erstaunt darüber war, wie viele Inder schon unterwegs waren, um Morgengymnastik zu machen oder mit raschem Schritt und schwingenden Armen die Strandpromenade entlang zu gehen. Jemand saß auf einer Mauer und machte Yoga-Atemübungen. Ein Muslim mit weißem Käppchen lief eine kleine Treppe hinauf und wieder hinunter und unterhielt sich dabei mit einem Bekannten. Ein junges Paar, das in einem lautstarken Streit begriffen war, begegnete mir zweimal. Ich sah am Strand Kochis "Mad Crab" ("Verrückte Krabbe"), eine Installation, die auf den Plastikmüll aufmerksam machen soll und die Strandbesucher dazu auffordert, Plastikmüll zu sammeln und damit die "Mad Crab" zu füttern. Wenn man näher geht, sieht man, dass der Körper der Mad Crab aus mit Plastikflaschen gefülltem Netz besteht.


"Mad Crab" - die verrückte Krabbe in Kochi

Nach einem einfachen Früstück in dem Haus, in dem Vasco da Gama einige Lebensjahre verbracht hat, ging ich zu einer Ragameditation, eine Stunde Meditation zu Sithar- und Tablamusik und anschliessendes Gespräch mit den Musikern, von denen der eine, der mich andauernd lächelnd anschaute, plötzlich auf seinem Smartphone zu googeln begann und mir vor allen anderen Teilnehmern mitteilte, dass ich einem indischen Musiker total ähnlich sehe. Er ließ das Bild nun in der ganzen Gruppe herumgehen. Was die anderen denn dachten? Naja. Die Reaktionen waren zurückhaltend. Der Mann war nämlich nicht gerade eine Schönheit. 

Nachmittags war es dann Zeit dafür, etwas über Kalaripayattu, die spezielle Kampfkunst von Kerala zu lernen – all diese Veranstaltungen fanden im Kathakali Art Institute statt, dessen Betreiber ein Inder ist, der das halbe Jahr in Berlin lebt (”Leinestrasse”, sagte er zu mir) und das andere halbe Jahr in Kochi.

Abends gingen wir uns dann eine Kathakali-Vorführung ansehen, mit einer sehr didaktischen Einführung in die verschiedenen Handmudras, Augenbewegungen und eine Darstellung von typischen Bewegungen, da Kathakali fast so etwas ist wie eine Gehörlosensprache, die für Begriffe und sogar ganze Sätze festgelegte Bewegungen hat, nur dass hier der ganze Körper ”spricht”. (Nur der Bösewicht, der ein feuerrotes Gesicht und einen Rüssel wie ein Schwein hatte, stiess grunzende und grollende Laute aus und fiel natürlich der Klugheit und Hinterlist grüngesichtigen Helden zum Opfer).

Unser Guesthouse ist übrigens ein altes portugiesisches Wohnhaus mit einem lauschigen und kühlen Innenhof, und alle Zimmer gehen hinaus auf eine schattige Veranda. Nur leider kommen am Abend die Mücken (trotz Mückenspiralen, die ein ständig verwundert lächelnder alter Mann vor allen Zimmer aufstellt, sobald die Dämmerung hereinbricht), so dass man lieber im Zimmer bleibt, sonst könnte man nämlich schön draussen sitzen. Zum Personal gehören außerdem ein sehr melancholischer Tablaspieler, der morgens und abends neben dem Eingang trommelt und ansonsten für das Öffnen der Tür zuständig ist und natürlich der Manager, ein älterer Mann mit hennarot gefärbtem Haar und langen Koteletten, der einen immer gütig anlächelt, wenn man ihm über den Weg läuft.

Morgen früh werde ich wieder zur Morgenraga gehen. Danach habe ich eine ayurvedische Nasenbehandlung bestellt (die hoffentlich dieser ständig lauernden Erkältung endlich den Garaus macht), und dann ist es Zeit, uns zum Flughafen zu begeben und nach Mumbai zu fliegen. Ein seltsames Gefühl. Ich habe aber schon lange mal Mumbai sehen (und spüren) wollen, und wir haben dort zwei Nächte, um die Stadt ein wenig auf uns wirken zu lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen